Bitte um Vergebung: Erklärung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zur Schuld an queeren Menschen

Kreuz unterm Regenbogen

Anlässlich des Gottesdienstes zum Christopher-Street-Day am 23. Juli 2021 erklärt die Kirchenleitung der EKBO:

Als Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bitten wir vor Gott und den Menschen um Vergebung dafür, dass in unserer Kirche Menschen, die als homosexuell bezeichnet wurden, ausgegrenzt und diskriminiert worden sind. Wir benennen mit dieser Erklärung öffentlich, dass  Entscheidungen Irrtümer waren und Verletzungen und Verwundungen bewirkten. 
Entscheidungen von Gremien und einzelnen Verantwortlichen in unserer Kirche sind im Jahr 2020 unter dem Leitwort der „Homosexualität“ erstmals dokumentiert worden. Dabei ist uns bewusst, dass der in der Vergangenheit gewählte Begriff der „Homosexualität“ auf dem Kenntnisstand heutiger Forschung einen verengenden Sprachgebrauch darstellt. Der Begriff der Homosexualität hat in der Vergangenheit Eingang in Unterlagen, Stellungnahmen, Briefe und Akten gefunden. Doch das Gesagte betrifft lesbische, schwule, bi*, trans* und inter* Personen. Wir denken an alle Menschen, die queer sind und leben; wir nutzen in diesem Sinne hier die Rede von queeren Menschen, LSBTIQ. 

Die mit der Studie längst nicht abgeschlossene historische Erforschung zeigt ein zwar noch lückenhaftes, gleichwohl deutliches Bild: Obwohl es auch ein Ringen um theologische Klarheit und um die Aufhebung von Ungleichbehandlung gab, haben in den Kirchenleitungen der vergangenen Jahrzehnte Verantwortliche Diskriminierung an queeren Menschen geschehen lassen, vor allem aber ausgeübt. Queere Menschen wurden mit Befragungen konfrontiert, erlitten Kündigungen und die Entfernung aus dem Dienst. Gemeindeglieder, die in gleichgeschlechtlichen Liebesbeziehungen lebten, mussten schmerzlich erfahren, dass ihnen Respekt und Anerkennung verweigert wurden. Kirchenleitende Haltungen gegenüber queeren Menschen waren häufig geprägt von der Forderung nach einem „zölibatären“ Leben, eines „asketischen Umgangs“, „Enthaltsamkeit“, „Dezenz“ oder “Schweigegeboten“. Diese stellte und stellt in ihren Folgen einen massiven Eingriff in das persönliche Leben von Menschen dar, die in den kirchlichen Dienst eintreten wollten oder darin tätig waren. Bis vor einem Jahrzehnt war Ordinierten, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften lebten und leben, das gemeinsame Wohnen im Pfarrhaus untersagt. Wir sind erschüttert über das damit verbundene Maß an Tabuisierungen und Zumutungen. Mit tiefem Respekt erkennen wir, welches Durchhaltevermögen dazu gehörte, als geoutete Pfarrperson in dieser Kirche zu arbeiten, nicht selten dazu gedrängt, gegenüber kirchenleitenden Personen sich wiederholt zu ihrer Lebensweise zu erklären. So haben queere Menschen in der evangelischen Kirche Diskriminierung erlebt. Sie wurden stigmatisiert und ausgeschlossen. Dies wurde durch eine Theologie befördert, die queeren Menschen eine Gottebenbildlichkeit absprach oder diese in Frage stellte. Wir müssen davon ausgehen, dass wesentlich mehr Menschen von diesem kirchlichen Handeln betroffen sind, als sich nach heutigem Wissensstand dokumentiert findet. Denn die damit im Zusammenhang stehenden biographischen Brüche wurden oft nicht festgehalten. Insbesondere zu lesbischen Lebensrealitäten ergibt sich noch kein klares Bild; hier ist weitere Aufarbeitung und Forschung dringend erforderlich.

In Übernahme der Verantwortung für das kirchliche Handeln in der Vergangenheit bekennen wir, dass wir einen für queer lebende Menschen jahrzehntelangen schmerzhaften Weg verantworten. Wir haben lange gebraucht zu erkennen, dass Menschen durch kirchenleitendes Urteilen und Handeln zu Unrecht Leid zugefügt wurde. Wir sind beschämt angesichts unserer kirchlichen Geschichte des Demütigens. Wir tragen als geschwisterliche Gemeinschaft Verantwortung für das Gestern und wissen doch, dass Unrecht nicht Vergangenheit ist. 

Trotz dieser Erfahrungen, trotz Ausgrenzung, trotz mangelnder Akzeptanz und  Anerkennung blieben Menschen, die gleichgeschlechtlich liebten und lieben, ihren Gemeinden, ihrer Kirche treu und verbunden. Diese Verbundenheit im Schmerz erfüllt uns mit großem Respekt. Als Kirchenleitung sind wir heute dankbar für dieses außergewöhnliche Zeugnis der Courage und Beharrlichkeit sowie des Glaubens. Daraus ist ein hoch wirkungsvolles, praktisches Engagement in queeren Initiativen, Netzwerken und Konventen auf allen Ebenen dieser Kirche in Ost und West gewachsen, das wir heute würdigen und für die wir dankbar sind. Denn solches Engagement hat dazu geführt, dass diese Kirche Gelegenheit fand, zu lernen und neue Wege zu gehen. Der jahrelange engagierte und mutige Kampf ermöglicht unsere heutige Haltung, gegenwärtiges Entscheiden und Leiten. Umso mehr vermissen wir als Kirchenleitung jede einzelne Person, die es nicht mehr ertrug, in ihrer evangelischen Kirche beheimatet zu sein.

Unsere gesellschaftliche Gegenwart ist belastet mit Vorbehalten und Vorurteilen, mit historischer und auch noch immer aktueller Diskriminierung. Die kirchliche Praxis und Haltung hat in der Vergangenheit solcher gesellschaftsweiten Diskriminierung nicht widerstanden, sie hat sie zu Teilen mitgeprägt und darum auch zu verantworten. Wir erkennen, dass Kirchenleitende  mit ihrem  Zeugnis nicht die Kirche waren, die sie hätten sein sollen. 

Wir rufen dazu auf, die noch nicht erzählten Erfahrungen und Lebensgeschichten zu Gehör zu bringen und im Gedächtnis zu halten. Wir erklären nachdrücklich und laut: Wir stehen als Kirchenleitung gemeinsam für eine Kirche der Vielfalt. Wir glauben, dass sie Gottes Wille entspringt. Alle Menschen sollen an unserer Kirche teilhaben und teilnehmen können.

Wir sind durch Gott zur Umkehr aus einer unheilvollen Geschichte von Vorverurteilungen und Verletzungen an queeren Menschen gerufen.

Wir erkennen, dass Kirchenleitende durch Beschlüsse und Entscheidungen Menschen wegen ihrer Partnerschaften und ihrer Weise zu lieben gedemütigt, ausgegrenzt und ihnen Teilhabe am Leben der Kirche verwehrt haben.

Wir erkennen, dass Menschen um ihre Chance gebracht wurden, sich beruflich oder ehrenamtlich in dieser Kirche einzubringen oder sich in ihr beruflich zu entwickeln und ihnen verwehrt wurden, ihrer Berufung durch Christus zu folgen.

Wir erkennen, dass Menschen auf eine gemeindliche oder kirchliche Anerkennung ihrer Arbeit und ihrer Person vergeblich warteten und vergeblich um Gleichstellung gekämpft haben.

Deshalb bitten wir alle Menschen, die wegen ihrer Lebensweise in unserer Kirche benachteiligt und diskriminiert wurden, um Vergebung.

Wir bitten Gott um Vergebung, wo wir Gottes Willen nicht entsprochen und Gottes vielfältigen Gaben nicht geachtet haben.

Wir bitten um Vergebung im Wissen darum, dass nur Gott allein vergeben kann, was wir als Gemeinschaft zu tragen und zu verantworten haben. 
Für die Kirchenleitung

Christian Stäblein,  Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

Quelle: https://kirchenkreis-stadtmitte.kw01.net/blog/84231