William Schaefer, US-Bürger, 71 Jahre alt, lebt seit 43 Jahren in Deutschland. Er studierte in den USA Germanistik und Geschichte, kam im Zuge seines Studiums an die Uni Freiburg, ist hier geblieben – und wurde in Freiburg Lehrer für Englisch und Religion. Vor zehn Jahren begann er über die Nazi- Verfolgung Homosexueller in Südbaden zu forschen.
Zeitung am Samstag: Was hat Sie veranlasst, die Schicksale homosexueller Männer in der Nazizeit zu recherchieren?
William Schaefer: Es gibt drei Gründe. Erstens weil mich das Thema interessiert. Zweitens weil die Nazis wollten, dass diese Menschen ausgelöscht werden, nicht nur physisch sondern auch aus dem Gedächtnis. Und das gönne ich denen nicht. Ich will diese Menschen aus der Vergessenheit herausholen und bekannt machen, was damals passiert ist. Drittens als Mahnung für die Menschen heute, was Diskriminierung bedeuten kann.
ZaS: Wenn Sie die Menschen vor dem Vergessen retten wollen, warum haben Sie die Personen in Ihrer Schrift dann in der Regel nicht mit vollem Namen genannt?
Schaefer: Das hat mit dem Datenschutz zu tun. Ich durfte nur forschen, weil ich unterschrieben hatte, dass ich meine Veröffentlichung anonymisieren werde. Ich konnte nur bei Männern, die bereits durch andere Veröffentlichungen als homosexuell bekannt waren, den vollen Namen nennen. Ich bin außerdem nicht fürs Zwangs-Outen. Um die Schicksale aufzuzeigen, sind die Namen nicht unbedingt wesentlich.
ZaS: Mit welcher Begründung wurde Homosexualität in der Nazizeit verfolgt?
Schaefer: Die Nazis haben immer geschrieben, sie bekämpfen die Homosexualität. Das regt mich auf! Das ist doch ein abstrakter Begriff. Die Nazis haben Homosexuelle, also Menschen aus ideologischen Gründen bekämpft. Ziel der Nazis war, dass sich die Arier vermehren. Von einer Familie wurden mindestens vier Kinder erwartet. Und in der Regel zeugen homosexuelle Männer keine Kinder.
ZaS: Unabhängig von diesem „ari-schen“ Gedanken gibt es ja aber bis heute Vorbehalte gegenüber Homosexuellen.
Schaefer: Natürlich. Das ist nichts, was die Nazis erfunden haben. Da sind die drei monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, die alle homosexuellenfeindlich sind. Die Nazis haben dieses Thema aus ideologischen Gründen aufgegriffen und den Paragraphen, mit dem Homosexuelle strafverfolgt werden konnten, erheblich verschärft.
ZaS: Konnte man damals überhaupt offen zur eigenen Homosexualität stehen?
Schaefer: Nur wenige konnten das. Einer von ihnen war der Künstler Markus Behmer. Er hatte ganz offen zugegeben, dass er sich seit seiner Jugend homosexuell betätigte. Er sagte damals – als Antwort auf den Vorwurf der Nazis, Homosexualität sei widernatürliche Unzucht – Sex mit einer Frau sei für ihn widernatürlich. Seine Ge-fängnisstrafe fiel dennoch vergleichsweise erstaunlich milde aus. Viele andere kamen in den KZs um.
ZaS: Sinti und Roma erheben den Vorwurf, dass ihnen als Nazi-Verfolgte nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wird, wie den Juden. Sehen das Homosexuelle ähnlich?
Schaefer: Die Sinti und Roma haben Recht. Sie haben eine halbe Millionen Menschen durch die Nazis verloren. Die Juden sechs Millionen. Ich mag das nicht, mit Zahlen zu argumentieren. Jedes Schicksal ist gleich schlimm. Die Zahl macht das nicht aus. In den KZs waren außerdem massenhaft Menschen aus den besetzten Ländern, aus Frankreich, Belgien und Holland, aus Dänemark und Polen. Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter und Zeugen Jehovas wurden verfolgt.
ZaS: Aber von den Homosexuellen als Verfolgte hört man am wenigsten. Wie kommt das?
Schaefer: Die Verfolgung all dieser eben genannten Gruppen hörte nach 1945 auf. Deshalb konnte dann darüber gesprochen werden. Doch der Paragraph 175 in der NS-Fassung ist bis 1969 unverändert in Kraft geblieben. Das Kriegsende hatte nicht dazu geführt, dass die Gesetze oder die Strafen verschwanden. Die Justiz hat weitergemacht, als wäre nichts gewesen.
ZaS: Wie viele Verurteilungen von Homosexuellen gab es denn nach Kriegsende?
Schaefer: Mehr als vor 1945. In der BRD gab es bis 1969 etwa 60 000 Urteile wegen homosexueller Handlungen. Auch nach dem Krieg wurde noch nach homosexuellen Männern gefahndet, die ihre von den Nazis verhängte Strafe noch nicht verbüßt hatten.
ZaS: Wurden die damals Verhafteten später rehabilitiert?
Schaefer: Die Urteile aus der NS-Zeit wurden erst am 17. Mai 2002 aufgehoben – mehr als 50 Jahre nach Kriegsende. Die Urteile nach 1945 bis heute nicht.
ZaS: Zu Ihrem Vortrag wird auch einer der ältesten Überlebenden der Naziverfolgung kommen.
Schaefer: Ja, Rudolf Brazda ist mit 97 Jahren, soweit ich weiß, der letzte überlebende Rosa-Winkel- Träger. Er war drei Jahre lang im KZ Buchenwald und überlebte nur, weil ihn jemand beim Todesmarsch versteckte. Ein ganz erstaunlicher Mensch. Er ist so optimistisch, körperlich zwar sehr gebrechlich, aber im Kopf ganz klar. Und er strahlt solche Lebensfreude aus, ohne jede Verbitterung.
- William Schaefer, Schicksale männlicher Opfer des § 175 StGB in Südbaden 1933 – 1945, Sonderdruck des Stadtarchivs aus der Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“, 2009
- Vortrag von William Schaefer, Montag, 28. Juni, 20 Uhr, Winterer-Foyer Theater Freiburg. Informations- und Gedenkveranstaltung der Stadt Freiburg, des Vereins Rosa Hilfe und des Breisgau-Geschichtsvereins.
Quelle: www.zas-freiburg.de